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Weihnachten 2020

Wien, 17. Dezember 2020 

Die Winterstürme durchdringen
Die Welt mit wütender Macht. -
Da - - sinkt auf schneeigen Schwingen
Die tannenduftende Nacht... (
Rainer Maria Rilke)

Jedes Jahr zur Adventzeit steige ich hinauf zum Speicher, der von der alten Diele zu erreichen ist.
Der Schlüssel dreht zwei Mal im Schloss, die niedrige Türe öffnet nach Innen. Dunkelheit umfängt mich, Licht dringt nur spärlich durch die Dachziegel, Wind heult durch die Ritzen, das alte Dachgebälk knarrt und ächzt. Kisten stapeln sich bis unter das Dach, Gegenstände aus lang vergangener Zeit liegen wahllos übereinander.

Die alte Truhe liegt unter einer dicken Staubschicht, die bunte Bemalung ist verblasst, die Initialen meines Großvaters in verschnörkelter Schrift nur noch schwer lesbar. Ich drehe den großen Schlüssel aus Eisen bis zum Anschlag, und stoße den schweren Deckel auf. Große und kleine Behälter aus Karton liegen wohlgeordnet in den tiefen Fächern, Beschriftungen verweisen auf ihre Inhalte.  Auf einer hohen Schachtel mit aufgedruckten grünen Tannenzweigen und roten Kerzen steht in schöner alter Handschrift „Weihnachten“. Behutsam nehme ich sie an mich, schließe die Truhe und steige hinunter in die Stube. Still ist es im Haus, am Tisch liegt aus Reisig bereits gebunden der Kranz mit den vier Kerzen, der Raum liegt in der beginnenden Dämmerung.
Ich löse die grüne gedrehte Kordel, die um die Schachtel verknotet ist und hebe den Deckel.

Funkelnd und glitzernd liegt der alte Glasschmuck, einem Setzkasten gleich, in kleinen Fächern von braunem Karton: goldene Nüsse, silberne Glocken, Tannenzapfen mit weiß bedrucktem Schnee, pausbäckige Engel, bunte Sterne mit spitzen Zacken, eine Mandoline in verblichenem Braun, die silberne Kapelle mit den bunten Fenstern, der Vogel mit weißem Federschweif …

Auf einer einzelnen Schachtel steht in großen Buchstaben: „Kugeln – Glas – Vorsicht!“ Und die Jahreszahl 1952.Unschwer erkenne ich die Handschrift meines Vaters. Einzeln verpackt liegt jede Kugel auf einem Stoff von rotem Samt. Ich wickle sie eine nach der anderen aus dem weißen Seidenpapier. Kugeln aus dünnem, silbernem Glas mit bemalten grünen Zweigen und rosa Glocken liegen vor mir auf dem Tisch. An vielen Stellen blättert die Silberschicht, Rost hat sich an den feinen Aufhängdrähten gebildet, Reste von weißem und rotem Wachs zeugen von vergangenen Weihnachten. Bilder erstehen und erzählte Geschichten. Du kauftest sie damals für diese junge Frau und für euer gemeinsames erstes Weihnachten und - euer letztes. Am Dreikönigstag trugst Du sie zu Grabe. Sinnend darüber hänge ich dieser Geschichte nach, wie anders auch dieses Weihnachten heuer sein wird! Erinnerungen an glückliche, frohe Festtage liegen in einer Wehmut schwer auf meinem Herz.

Draußen gehen die Lichter an, auf Tannenbäumen und in Fenstern, erhellen die Dunkelheit.
Verse eines alten Weihnachtliedes klingen in mir an und wie eine liebgewonnene Gewohnheit lese ich von Neuem, wie jedes Jahr, die Zeilen eines Briefes von Rainer Maria Rilke, 1906 zur Weihnachtszeit an seine Frau Clara: 

„Du weißt, was mir in meiner frühen Kindheit Weihnachten war; selbst noch dann, als die Militärschule mir ein wunderloses, hartes, unbegreiflich boshaftes Leben so glaubhaft vortäuschte, dass mir keine andere neben jener unverschuldeten Wirklichkeit möglich schien; selbst dann noch war Weihnachten wirklich und war das, was mit einer Erfüllung herankam, die über alle Wünsche hinausging, und wenn es über die äußersten letzten nie noch gewünschten hinaus war, dann begann es erst recht, dann faltete es, das bisher gegangen war, Flügel aus und flog, flog, bis es nicht mehr zu sehen war und man nur noch die Richtung wusste, in dem großen fließenden Licht.

Da erst merkte ich, dass mir dieses Weihnachten noch da war und nicht wie eines, das einmal war und vergangen ist, sondern wie ein immerwährendes, ewiges Weihnachtsfest, zu dem das innere Gesicht sich hinwenden kann, sooft es seiner bedarf. Auf einmal war Freude und Seligkeit und Erwartung der anderen klein geworden dahinter. Aus diesem allem entstand mir die Fähigkeit, diese Weihnachten einmal allein und doch nicht bange oder traurig zu sein….“

Ich glaube, dass das, was Weihnachten ist, in all den Erinnerungen, die wir in uns tragen und in all dem Wunder, das es für uns bereithält, von keiner Macht, auch nicht von einer die Welt bedrohenden Pandemie, uns genommen werden kann. Vielleicht brauchen wir gerade jetzt dieses Weihnachten, das heuer ein so ganz anderes sein wird und doch vielleicht eines, das uns in der Stille daran erinnert, wie es im Lied: „Stille Nacht“ anklingt:

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh‘n
Uns der Gnaden Fülle lässt seh‘n
Jesus, in Menschengestalt,
Jesus, in Menschengestalt

Ich wünsche Ihnen gesegnete, friedvolle und trotz alledem frohe Weihnachten.

Und für das neue Jahr Gesundheit, unerschütterlichen Glauben und Vertrauen und auch Ihnen einen Stern, der Ihnen Weg und Richtung ist.

Von Herzen, Sigrid Obermair

 

Masseria

 

Alassio, 6. Oktober 2020

„Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden.“ (John Ruskin)

In gerader Linie verläuft die Autobahn durch die Ebene des Po-Deltas, an der sich zu beiden Seiten weite Felder ausdehnen. Maisfelder in langen gelben Halmen und spitzen Kolben, abgeerntete Felder mit großen runden Strohballen und ziegelrote Schollen von Ackerland wechseln die Landschaft.
Inmitten der Weite der Ebene liegen immer wieder Gehöfte von immenser Größe, Dörfern gleich.
Ein Anwesen erweckt meine Aufmerksamkeit.

Ich nehme die nächste Abfahrt und biege nach längerem Suchen in eine Allee von Eichen- und Eukalyptusbäumen, ca´lunga ist auf einem verbogenen Blechschild zu lesen.
Umwuchert von Efeu und wilden Feigenbäumen ist ein vierseitiges Gehöft ausnehmbar, mit einem großen Holztor an der Stirnseite, das in den Innenbereich führt. Die Pflastersteine im Innenhof sind von vertrocknetem Gras überwuchert, Fenster und Türen mit Holzbrettern zugenagelt, verrostetes Ackergerät liegt verstreut, das Anwesen verlassen. An der Südseite führt ein weiteres Tor wieder nach draußen in die umliegenden Felder und zu einer Kirche, die zum Anwesen zu gehören scheint.  

Ein alter Mann kommt des Weges; seine Schritte sind langsam und bedächtig, das Gesicht sonnengegerbt und von tiefen Furchen durchzogen. Eindringlich, einem Flehen gleich, wiederholt er immer wieder denselben Satz: andiamo a vedere la madonnina, andiamo a vedere la madonnina… sein Blick senkt sich dabei zu seiner rechten Seite, an der er in einer Jacke eingehüllt einen Hund im Armt trägt.
Ob er den Namen des Gehöftes kenne, ob hier noch jemand wohne? frage ich ihn. Sein Gesicht wird traurig und er erzählt, dass er hier vor mehr als siebzig Jahren mit seinen Eltern gewohnt hätte, die für den Besitzer des Hofes die Felder bestellten. Aber das sei alles vorbei, die Eltern tot, und ihm bleibe nur noch sein kranker Hund, das Warten auf sein eigenes Ende und die täglichen Gebete an die Madonna in der Kirche!

Das Scheunengleichnis von Viktor Frankl kommt mir in den Sinn das, inmitten der abgeernteten Felder und an der Seite der ehemaligen Speicher stehend, nicht besser passen konnte und ich erzählte ihm: ja, vieles im Leben ist vorbei und vergangen, wie der gelbe Weizen, der noch im Sommer auf diesen Feldern stand und von dem nur noch Reste der abgeschnittenen Halme zu sehen sind. Aber das Korn wurde in die Scheunen eingefahren und die Speicher sind nun voll. So ist es auch in unserem Leben. Nicht die Stoppelfelder und all das Verlorene sollen wir bejammern, sondern das sehen, was wir an all dem Geschaffenen, Erlebten, aber auch an all dem manchmal mutig Durchlittenen in die Scheune unseres Lebens eingefahren haben! 

Ihre Scheunen sind voll! Wie gerne würde ich ihren Geschichten lauschen!
Auf einmal beginnen seine Augen zu leuchten und er beginnt zu erzählen von damals und all dem, das unauslöschlich in seinem Leben für immer sein wird…  

Er müsse mir noch die Kirche zeigen! Vor einigen Jahren feierte man am Tage des Schutzpatrons hier noch die Messe, jetzt sei sie geschlossen. Hinter der vergitterten Tür bot eine Öffnung aus Glas den Blick ins Innere. Und da stand sie - die Madonna, oberhalb des Altars, in einem Rahmen von weißem Marmor. 

Wir verabschiedeten uns. Noch lange blickte ich ihm nach. Sein Gang schien behender, seine Haltung aufrechter. Seine Stimme war noch von weitem zu hören: la madonnina ci ha aiutati, la madonnina ci ha aiutati, …. Die Madonna hat uns geholfen!

 

Selten nur sind ...

 

Juni 2020 

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ (Friedrich Hölderlin)

Das Bild einer Küstenlandschaft an der italienischen Riviera, am Horizont die Bergrücken dreier Inseln, die sich n u r  nach stürmischen Tagen in der Klarheit des Morgens zeigen, erinnert mich an eine Erkenntnis von Viktor Frankl:“ Leidsituationen machen die Welt durchsichtiger und uns hellsichtiger darauf.“ Oft braucht es auch für uns „stürmische Tage“, Zeiten der Krise, die in uns etwas klären, uns selbst klarer erkennen lassen, das für uns Wichtige klar zu sehen. Dieses Wissen hilft mir darin, mich nicht abzulenken, sondern – wie stark die Stürme toben mögen – ihnen standzuhalten. Das Geschenk wird sein der klare Blick auf meine „Inseln“ und auf das, was mich trägt und hält.

 

April 2020

„Wir sind nicht frei von etwas, sondern nur frei zu etwas.“ (Viktor E. Frankl)

Fast täglich sind wir derzeit mit Nachrichten konfrontiert, die uns dazu auffordern, unser Leben zu verändern, manchmal auch radikal. Das fordert uns heraus: in unseren Gewohnheiten, in dem, woran wir glauben oder glaubten. Speziell unser hoher Wert Sicherheit steht derzeit auf einem hohen Prüfstein.

Wir können dem Leben keine Forderungen stellen und Bedingungen, in denen wir uns befinden, sind nicht immer veränderbar. Unser Umgang mit diesen Bedingungen ist jedoch frei gestaltbar: wir sind frei, in jedem Augenblick unsere Antworten auf die Fragen des Lebens zu geben.
Diese Gedanken und das Überdenken der „eigenen Antworten“ auf die derzeitigen Fragen des Lebens gebe ich meinen Klienten und Klientinnen immer wieder mit. Krisenzeiten, so schwer und herausfordernd sie oft sind, sind auch eine Chance, seinen bisherigen Weg in Frage zu stellen, notwendige Änderungen - sprich: Not-(ab)wendende - Veränderungen in Handlung und/oder in Haltung vorzunehmen. Die derzeit auferlegte Verlangsamung gibt uns die Möglichkeit, wieder mehr in die „Stille“ zu gehen, Innenschau zu halten, eigenen Werten - das, was uns wirklich wichtig ist - wieder mehr bewusst zu werden und in den Blick zu bekommen, was ein SINN-erfülltes Leben für uns bedeutet. 

Für die Zeit, die vor uns liegt, möchte ich Ihnen einen Auszug aus dem Dekalog der Gelassenheit mitgeben, den Papst Johannes Paul XXIII in einer seiner schwierigsten Zeit verfasst hat:                                                                                      

Nur für heute werde ich glauben - selbst wenn die Umstände das Gegenteil zeigen sollten -, dass die gütige Vorsehung sich um mich kümmert, als gebe es sonst niemanden auf der Welt.